Wir fanden, dass die Welt reif sei für einen solchen Artikel. Da müsst ihr jetzt durch.

Hintergrund ist das ewig hitzig geführte Bashing von Homöopathie- oder Pharmathemen, bei denen es nur Schwarz und Weiß gibt. Man fühlt sich auf ein Schlachtfeld zurückversetzt, bei dem es darum geht dem Gegner möglichst viele Messerstiche zu bescheren. Gut gegen Böse. Licht gegen Schatten. Mordor gegen Gondor. Das Amüsante dabei ist, dass jeder sich aber immer in der jeweils anderen Rolle sieht. Alle sind gut, leuchten hell und können sprechen statt grunzen.

Alternative Medizin aka Scharlatanerie, Schattenmedizin etc. funktioniere nur aufgrund des Placebo-Effekts. Und weil Tiere sich selten selbst warme Gedanken machen, wenn sie ein Mittelchen bekommen, was sie in der Regel gar nicht wollen, reicht es, wenn das Frauchen oder das Herrchen das tun, das nennt man dann „Placebo-by-Proxy“.

Aber was ist ein Placebo-Effekt jetzt überhaupt? Welcher Mechanismus greift da? Warme Gedanken fallen ja eher in die Sparte der Tierkommunikation. Eine Praktik, der wir selbst eher ablehnend gegenüberstehen. Vor allem, wenn es sich um eine „Kommunikation“ aus der Ferne handelt, also man das Tier nur vom Foto oder Telefon kennt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es in diesem Bereich jedoch auch andere Techniken gibt, die durchaus seriös sein können. Aber kann man eine Praktik, die man ablehnt, durch eine andere Praktik begründen, die man vermutlich auch ablehnt, wenn man mal darüber nachdenkt?

Fragen über Fragen, denen wir jetzt mal der Reihe nach nachgehen werden.

Zuerst räumen wir mal mit einem Missverständnis auf. Die Welt glaubt immer, dass ein Placebo ein Mittel ist, das einem Menschen gegeben wird und der denkt dann, dass es hilft und die bloße Einbildung dann bewirkt, dass es ihm besser geht. Der also einen an der Waffel hat und voll der Weichei-Psycho ist, der auf Scharlatanerie, Schamanismus und was auch immer reinfällt. Der wird belächelt und wird u. U. in der Gesellschaft gar nicht mehr ernst genommen. Die Wahrheit ist: Alle Menschen unterliegen einem Placebo-Effekt. Schon immer, schon seit Jahrhunderten und auch, wenn sie ein (wirksames) Medikament einnehmen oder eine (wirksame) Therapie erhalten. Dann ist die Gesamtwirkung allerdings größer. Man vermutet mittlerweile auch, dass es keine reine Addition ist, sondern ein synergistischer Effekt, der in der Gesamtwirkung dann größer ist als die Summe der Einzelwirkungen. ((Artikel: ENCK et al. – The placebo response in medicine: minimize, maximize or personalize? (2013) ))

 

Aus dem folgenden Artikel:
The placebo response in medicine: minimize, maximize or personalize?
Paul Enck, Ulrike Bingel, Manfred Schedlowski & Winfried Rief
Nature Reviews Drug Discovery 12, 191-204 (March 2013) – doi:10.1038/nrd392

Bei einem Vergleich, wie wirksam eine Therapie ist, müsste man also 3 Säulen vergleichen:

1) echtes Medikament/echte Therapie (=Verum) + Placebo-Effekt

2) Placebo-Effekt allein

3) keine Medikamente/keine Therapie

Eigentlich müsste man auch noch den Nocebo-Effekt mit einbeziehen, aber dazu kommen wir später.

Fest steht bis jetzt: Der Placebo-Effekt ist ein ernstzunehmendes und sehr seriöses Phänomen in der Heilbehandlung von Menschen und Tieren. Schon immer gewesen und auch bei jedem Lebewesen, egal bei welcher Behandlung. Bei Tieren und Kindern sieht dies allerdings ein bisschen anders aus, da gibt es keinen „echten“ Placebo-Effekt, aber dazu kommen wir im Verlauf des Artikels.

Und das Placebo sprach: “Ich werde gefallen”

Auch wenn der Begriff schon sehr alt ist und in seiner ursprünglichen Bedeutung schon als „schmeichlerische Ersatzleistung“ gemeint ist, wurde der Begriff 1772 von dem schottischen Arzt und Pharmakologen William Cullen in der Definition geprägt und der Medizin zugeordnet, wie wir es heute kennen. Der Effekt hingegen wurde erst in den letzten Jahrzehnten wirklich näher untersucht und hat überraschende Erkenntnisse zu Tage gebracht.

Kurz zusammengefasst handelt es sich bei einem Placebo um ein Produkt oder eine Therapie, welche nicht bis wenig wirksam ist. So gibt es auch Operationsverfahren, bei denen der Patient in eine normale Narkose gelegt wird, die Operation aber nur aus einem Hautschnitt besteht. Bei Knieoperationen gab es anschließend keinen Unterschied im Genesungsverlauf der Patienten mit richtiger Operation zu denen mit einem Hautschnitt. Sogar Placebo-Akupunkturnadeln ohne Spitze gibt es, zählt doch die Akupunktur zu den besten „Gutfühl“-Methoden, die ein Arzt im Medizinbeutelchen haben kann. (Womit jetzt nicht gesagt ist, dass sie nicht wirkt, nur dass die Resonanz am größten ist)

Doch auch wenn die Patienten voll aufgeklärt sind, dass es sich nur um ein Scheinpräparat handelt, oder eine Schein-OP, tritt dieser Effekt ein. Das ist überraschend, das ist neu. Es handelt sich also nicht nur um psychisch labile Volldödel, bei denen der Placebo-Effekt eintritt, sondern um völlig normale, psychisch gefestigte, intelligente Menschen. Das trifft Homöopathiegegner genauso wie Glaskugelgucker.

Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass dies in unserer epigenetischen Geschichte so einprogrammiert wurde. So können Ängste und Erfahrungen auch in unsere Gene eingespeichert worden sein. Mit ein Grund, warum man bestimmte Ur-Ängste hat wie z. B. die vor Feuer. Je länger diese epigenetische Programmierung erfolgt ist, desto stärker ausgeprägt können sie sein. Allerdings sind auch extrem kurze Programmierungsphasen möglich, z. B. von der Mutter auf das Kind.

Man könnte jetzt philosophieren, dass die Konditionierung auf bestimmte Rituale eine epigenetische Wirkung im Körper veranlasst. Also die Einnahme einer Pille, eines Krauts oder bei bestimmten Völkern auch der Medizinmann mit Tanz, Gesang, Räucherwerk und anderen Stilmitteln, ein Signal im Körper auslöst, sich selbst zu heilen. Dazu passen auch die folgenden Studien ins Schema, bei denen das Immunsystem durch ein Geräusch oder einen Geschmack als Trigger, also eine klassische Konditionierung, unterdrückt oder angeregt werden konnte.

ROBERT ADER – der  Vater  der  Psychoneuro-Immunologie – gab Ratten Immunsuppressiva in Verbindung mit einer sehr süßen Lösung. Nach kurzer Zeit bewirkte allein die Gabe der süßen Lösung eine Senkung der Immunaktivität – ohne das Immunsuppressivum. ((Studie: ADER et al. – Behaviorally conditioned immunosuppression and murine systemic lupus erythematosus (1982) )) Dies funktioniert auch bei Menschen ((Studie: WIRTH et al. – Repeated recall of learned immunosuppression: Evidence from rats and men.(2011) )), was besonders interessant für Transplantationspatienten ist, aber auch bei allen möglichen Erkrankungen mit Beteiligung des Immunsystems, wie z. B. bei Allergien ((Studie: MAC QUEEN et al. – Pavlovian conditioning of rat mucosal mast cells to secrete rat mast cell protease II (1989) )) oder Autoimmunerkrankungen wie Lupus erythematodes. Auch dass die Erhöhung der Lymphozytenzahl konditioniert werden kann, ist heute nichts Neues mehr.

Der Übergang zum Placebo-Effekt ist fließend. Ob Jahrmillionen alte Konditionierung oder die uralten  Psychologismen  Suggestion  und  Erwartungsinduktion ist dabei unerheblich. Der Effekt ist da. Er funktioniert. Immer.

Und er funktioniert auch ins Negative gekehrt oder über Dritte.

Und das Nocebo sprach: “Ich werde schaden”

Wenn man nicht rechtsherum 3 x bei Vollmond um die Eiche tanzt, sondern linksherum, dann nennt man das Nocebo.

Nein, Spaß. Aber ganz kurz wollen wir diesen gegenteiligen Effekt zumindest erwähnen, bei dem eine negative Erwartungshaltung die Krankheit überhaupt auslösen, wesentlich verstärken oder sogar dieselben Nebenwirkungen hervorrufen kann, wie das „Verum“.

Dafür reicht mitunter schon das Lesen des Beipackzettels, aber auf jeden Fall ist jede negative Energie im Umgang mit dem Patienten kritisch, wenn dieser dann darin aufgeht. Manch einer entwickelt aber auch eine „Jetzt erst recht!“-Einstellung daraus und landet trotz ungünstiger Vorzeichen wieder beim Placebo-Effekt, denn wer tief fällt, kann hoch klettern.

Über das Placebo selbst könnte man jetzt noch ganze Bücher füllen. Es gibt reine, unreine, Placebo-Akupunkturnadeln, Placebo-OPs, aber das mit den Büchern haben andere schon getan und es ist für diesen Artikel unerheblich, also wenden wir uns den Tieren zu.

Und das Tier sprach: “Placebo-Effekt? Keine Ahnung, was Du da laberst.”

Das ist auch richtig so, denn Tiere  freuen sich nicht gerade über das Ritual des Pillengebens, können nicht zwischen Verum und Placebo unterscheiden, sie haben keine Erwartungshaltung und sind auch nicht konditioniert worden. Auch das Weißkittel-Placebo „Arzt“ lockt keine guten Gefühle hervor – im Gegenteil.

Die meisten Krankheiten können durch Stress begünstigt werden und das Tier dann dem extremen Stress einer Untersuchung auszusetzen gleicht da eher einem Nocebo.

Es ist auch mittlerweile belegt, dass es den klassischen Placebo-Effekt bei Tieren nicht gibt, aber dennoch scheint ein gewisses Wirkprinzip zu existieren.

Sogar so stark, dass Kritiker der Meinung sind, dass bei allen Studien, bei denen ein Tierhalter involviert ist, die Studien verfälscht sind und am Ende Mittel für wirksam erklärt werden, die gar nicht wirken.

Dabei stolpert man unweigerlich über den Begriff „Caregiver Placebo Effect“, was übersetzt so viel wie „Betreuer-Placebo-Effekt“ bedeutet. Damit sind Tierhalter als auch Tierarzt gleichermaßen gemeint. Bei diesem Effekt handelt es sich jedoch um etwas anderes, nämlich die fehlerhafte Wahrnehmung über eine Verbesserung des Krankheitszustands des Tieres. Der Placebo-Effekt existiert dabei nur im Kopf des „Caregivers“. So gibt es mittlerweile mehrere Studien, bei denen die Tierhalter oder Tierärzte eine Verbesserung der Symptome bei Hunden mit Arthritis von im Schnitt 40 % attestiert haben. Eine entsprechende (neutrale) Untersuchung kam jedoch zu keiner Verbesserung. ((Studie: CONZEMIUS& EVANS – Caregiver placebo effect for dogs  with lameness from osteoarthritis (2012) ))

Dies wäre dann wiederum ein Beleg dafür, dass es den „eigentlichen“ Effekt, auf den wir mit dem Artikel hinauswollen, gar nicht gibt. Denn sonst wäre ja tatsächlich eine Verbesserung bei den Hunden messbar gewesen.

Aber schauen wir uns diesen Effekt einmal näher an.

Und der Mensch sprach: “Werde heil, mein Tier”

Dieser heißt „Placebo Effect by Proxy“ also so viel wie „Placebo-Effekt durch Dritte“ und sagt aus, dass ein Placebo-Effekt eintritt, wenn ihr eurem Tier etwas Gutes tut, es verwöhnt (bei mir funktioniert Hasenfleisch voll super *schwör*), ihm Zeit schenkt und es eurem Tier schon alleine dadurch zu ca. 30 – 50% besser geht. Die restlichen Prozentpunkte würden dann auf das „Verum“ entfallen. Das richtige Medikament und die richtige Therapie. Dann geht es mit der Gesundung noch schneller.

Ganz besonders das Streicheln und Berühren des Tieres, also der Mensch-Tier-Kontakt, scheint diese positiven Effekte hervorzurufen. So konnte durch Streicheln die Herzfrequenz bei Hunden und Pferden signifikant gesenkt werden. Bei Kühen resultiert ein fürsorglicher Umgang in einer höheren Milchleistung. Bei Ratten starben nach einer Entfernung der Schilddrüse ganze 79 % in der Gruppe, die ohne Menschenkontakt gehalten wurde, im Gegensatz zu den 13 % in der Gruppe mit Menschenkontakt, Fürsorge und viel Streicheln. ((Artikel: Franklin MC MILLAN – The placebo effect in animals (1999) ))

Placebo-by-Proxy-Effekte findet man auch in einer Epilespiestudie bei Hunden, teilweise war das Placebo sogar wirksamer als der eigentliche Wirkstoff. Diese Studie ist ganz besonders interessant, weil hier der Caregiver Placebo Effect nicht greifen kann, denn die Messbarkeit wurde an der Anzahl der Krampfanfälle festgemacht. Untersucht wurden 3 verschiedene Therapien: Ein neues Präparat, ein Implantat und eine Ernährungsumstellung. ((Studie: MUNANA et al. – Placebo Effect in Canine Epilepsy Trials (2010) )) Dennoch bleibt die Frage offen, woran es tatsächlich gelegen hat? An dem normalen Verlauf einer Epilepsie? Haben die Halter vielleicht noch andere Änderungen vorgenommen? Das Ergebnis bleibt am Ende schwammig und der Placebo-Effekt selbst ist nach wie vor nicht erklärbar.

Dass man alle Placebo-Effekte minimieren kann und eine verlässliche Aussage zu einem Präparat bekommt, kann man in der folgenden Katzenstudie sehen. Dabei wurden 58 Katzen mit Schmerzen aufgrund einer degenerativen Gelenkerkrankung in zwei Gruppen eingeteilt, die Mittelchen (Meloxicam und ein Placebo) verabreicht und wie zu erwarten war, hatte auch die Placebogruppe eine Verbesserung zu verzeichnen. Für die Verum-Gruppe gab es dann eine Washout-Phase, in der statt des Meloxicam ein Placebo verabreicht wurde und hier meldeten die Tierhalter dann anschließend tatsächlich eine Verschlechterung. Sicherlich war hier eingangs auch der Caregiver Placebo Effect beteiligt, aber zumindest wurde eine Lösung gefunden, mit dem Phänomen clever umzugehen. ((Studie: GRUEN et al. – Detection of Clinically Relevant Pain Relief in Cats with Degenerative Joint Disease Associated Pain (2014) ))

Viel mehr Material, das auf einen Placebo by Proxy Effekt bei Tieren hinweist, gibt es da auch schon nicht mehr. Auch bei einer Studie mit Frühgeborenen/Kleinkindern war kein nennenswerter Placebo by Proxy Effekt feststellbar. ((Artikel: BURKART et al. – Placebo by Proxy in Neonatal Randomized Controlled Trials: Does It Matter? (2017) ))

Wir halten fest:

  • Einen reinen Placebo-Effekt bei Tieren gibt es nicht
  • Es gibt einen Caregiver Placebo Effect
  • Es gibt einen Placebo-by-Proxy-Effekt
  • Der Placebo-by-Proxy-Effekt tritt nicht immer auf und ist auch nicht vorhersehbar

Am Ende bleibt die Frage offen, was da jetzt geheilt hat. Die Pharma-Produkte, die Zeit, die normale Selbstheilung, die guten Gedanken, das Streicheln? Aber naheliegend ist, wenn es zur Gesundung kommt: Der Placebo-Effekt war vermutlich schon in irgendeiner Form beteiligt.

Also belächelt nicht die „dummen, naiven“ Tierhalter, begegnet dem Placebo-Effekt mit mehr Respekt, denn jeder ist ihm unterworfen. Auch ihr.

Für alle Tierhalter gilt: Versucht nicht dem Caregiver Placebo Effect zu unterliegen. Macht ggf. Videos und zeigt diese dann neutralen Personen, ob tatsächlich eine Verbesserung stattgefunden hat. Sonst hat das Tier mitunter immer noch Schmerzen, nur ihr seht das nicht. Und: Streicheln! Viiieeel Streicheln!

Allen Tierärzten oder anderen, alternativen Methoden feindlich gegenüberstehenden Zielgruppen sei gesagt: Es ist nicht wirklich clever, einen so positiven psychologischen Effekt zu ignorieren. Von einigen würden wir uns wünschen, Licht statt Hitze zu verbreiten. Und dazu gehört offensichtlich auch das Ritual. Macht dem Tierhalter Mut. Unterstützt ihn. Und wenn der Tierhalter zusätzlich zur klassischen Schulmedizin als Ritual ein homöopathisches Produkt  für sein Wohlbefinden benötigt oder bei Vollmond 3x um die Eiche tanzen möchte (nicht vergessen: rechtsherum, ne?), um dem Tier den vollen Placebo-by-Proxy-Effekt zukommen zu lassen, so ist er unserer Meinung nach verpflichtet, dies zumindest zu dulden. Es wäre doch schade, wenn das fein säuberlich ausgesuchte Arzneimittel oder die Therapie an der negativen Energie des Arztes scheitern 😉 Denn: Salus aegroti suprema lex.